Anlässlich des seit 1994 alljährlich stattfindenden Internationalen Tages der Pressefreiheit luden die Landesmedienanstalt Saar (LMS), der Saarländische Journalistenverband (SJV) und die Homburger Siebenpfeiffer-Stiftung zu einer Online-Matinee ein, die ganz im Zeichen des momentanen Weltgeschehens steht. Unter dem Titel „In akuter Gefahr – Pressefreiheit und freie Berichterstattung in Belarus, Russland, Moldau und der Ukraine“ setzten sich Charlotte Maihoff (RTL-Reporterin Moskau), Dr. Lutz Kinkel (Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für die Presse- und Medienfreiheit in Leipzig), Ruth Meyer (Direktorin der Landesmedienanstalt Saar), Ulli Wagner (Vorsitzende des Saarländischen Journalistenverbandes) und Dr. Theophil Gallo (Landrat des Saarpfalz-Kreises und Vorsitzender der Siebenpfeiffer-Stiftung) gemeinsam mit Journalistinnen und Journalisten aus den Kriegs- und Krisengebieten mit der brandaktuellen Thematik auseinander.

„Nicht ganz zufällig fällt die Matinee auf den 8. Mai. Der Tag steht für die Befreiung Europas von dem barbarischen Nazi-Regime und wird in vielen europäischen Ländern als Gedenk- oder Feiertag begangen. In der Nazi-Diktatur gab es keinerlei freie Medien mehr, die öffentliche Meinungsbildung war bis aufs letzte Komma manipuliert. Die Berichterstattungen, die immer näher an uns heranrücken, sollten wir finanziell und strukturell unterstützen. Dazu gehört auch, dass wir Exil-Journalisten und -Journalistinnen Schutzräume bieten. Wir müssen unsere Komfortzonen verlassen und uns gegen die allgemeine Teilnahmslosigkeit engagieren“, zeigte Dr. Theophil Gallo auch mit Blick auf die bestehenden Kreispartnerschaften mit Polen und der Ukraine bei seiner Begrüßung auf.

Carolin Dylla, Moderatorin und Reporterin beim Saarländischen Rundfunk sowie Siebenpfeiffer-Sonderpreisträgerin, moderierte die Matinee. Sie wies darauf hin, dass gezielte Desinformation und Propaganda als Instrumente der Machterhaltung eingesetzt werden. Insbesondere in Russland und Belarus sei deswegen von Pressefreiheit keine Rede mehr.

„Man kann nicht genug über Pressefreiheit reden; denn sie ist unter Druck und inzwischen überall gefährdet“, skizzierte Dr. Lutz Kinkel. „Staaten oder Regierungen bzw. mit ihnen verbündete Oligarchen versuchen, sich auch öffentlich-rechtliche Medien anzueignen und zu ihren Propaganda-Werkzeugen zu machen. Wichtig ist, dass Stimmen aus den Ländern, in denen die Pressefreiheit bedroht oder vielleicht gar nicht mehr vorhanden ist, mehr gefördert werden. Zum Beispiel sollte in der deutschen Berichterstattung für Belarus und Russland mehr Raum geschaffen werden. Journalistinnen und Journalisten im Exil muss es ermöglicht werden, wieder und mehr zu arbeiten. Außerdem müssen wir ein Bewusstsein dafür schaffen, welchen Stellenwert wahrhaftige und vertrauenswürdige Informationen für die Demokratie und die Freiheit jedes Einzelnen besitzen. Wir sehen gerade an den Beispielen Russland und Belarus, was mit Demokratien passieren kann, wenn wir das nicht erstnehmen und nicht auf die eindringlichen Stimmen derer hören, die gerade genau dieser Freiheiten beraubt werden.“ Er sprach die Erwartung aus, dass viele Exil-Journalistinnen und -Journalisten nicht nur Deutschland, sondern auch in die Nachbarstaaten kommen. Deshalb sei es erforderlich, beim Aufbau von Exilmedien mitzuhelfen, um verlässliche Informationen für die Herkunftsländer und Nachrichten aus diesen sicherzustellen. Kinkel forderte, für die in den Krisengebieten verbliebenen Journalisten direkte Stipendien. Mit 400 bis 500 Euro pro Monat könne gewährleistet werden, dass sie auf wirtschaftlich gesicherter Grundlage arbeiten können.

Sergiy Tomilenko, Vorsitzender des Ukrainischen Journalistenverbandes NUJU (National Union of Journalists of Ukraine), betonte, dass die Sicherheit und das Überleben für die Journalisten in seinem Land Priorität haben. „Deutsche Journalisten könnten vielleicht mit der deutschen Regierung in Kontakt treten und ein spezielles, wirtschaftliches Hilfsprogramm für den Journalismus und die Medien hier auf die Beine stellen. Und vielleicht könnte die Bundesregierung dieses Thema auch innerhalb der Europäischen Kommission voranbringen“, schlug er als eine Hilfsmaßnahme vor.

Daniela Crudu, Journalistin aus Moldau, Fernsehmoderatorin beim Sender Moldau1, berichtete, dass der Ukraine-Krieg und das Schicksal der vielen Tausend Flüchtlinge in ihrem Land zu einer Verbesserung der Medienfreiheit geführt haben. Insbesondere sei eine Solidarisierung zwischen Medien, Regierung und Bevölkerung festzustellen. Eine aktive Kommunikation der Medien untereinander und über die Staatsgrenzen hinaus sei ein effektiver Weg, Journalisten zu helfen, Medienfreiheit zu sichern und Informationen bereitzustellen.

Lena, „anonymisierte“ Journalistin aus Belarus, bezeichnete ihr Land als das gefährlichste Land für Journalisten in Europa. Journalismus sei inzwischen gefährliche Partisanenarbeit. Inhaftierung und Folter seien an der Tagesordnung. Trotz allem habe der Mediensektor überlebt. Aus ihren Augen unerlässlich seien die Unterstützung und die Solidarität von und mit im Exil arbeitenden Redaktionen – als letzte Bastionen der Meinungsfreiheit angesichts eines aggressiven Informationskriegs und pro-russischer Propaganda in ihrer Region.

Ljubou Kaspiavovich, belarussische Journalistin im Exil, schilderte eindringlich ihre eigenen Erfahrungen. „Noch vor einem Jahr dachte ich selbst, dass die Situation in Belarus nur Belarussen angeht. Aber wie die letzten Ereignisse zeigen, betreffen die Regime von Putin und Lukaschenko mehr oder weniger uns alle. Deswegen lohnt es sich, einander zu unterstützen und für die Freiheit zu kämpfen. Meine Stimme ist alles, was ich noch habe. Meine Heimat, Arbeit und Freunde habe ich verloren.“ Kaspiavovich, die inzwischen auch für deutsche Medien arbeitet, berichtete, dass ihr Netzwerk aus ehemaligen Kollegen inzwischen aus dem Exil heraus ein Online-Medium aufgebaut habe, das in Belarus bereits über zwei Millionen Nutzer zähle.

Charlotte Maihoff bemängelte, dass die Berichterstattung aus Russland und anderen osteuropäischen Ländern wie auch der Ukraine in der Vergangenheit sträfllich vernachlässigt worden sei. Um Gesellschaft und Mentalität zu verstehen, sei es erforderlich, intensiv Einblicke in Alltag und politisches Geschehen zu ermöglichen. „Wir haben hier in Deutschland ein System, in dem es zählt, auf die Straße zu gehen. Umgekehrt passiert das gar nicht. Wir müssen genauer beobachten, besser zuhören und mehr darüber berichten, was dort passiert.“

Ulli Wagner fasste schließlich zusammen: „Wir wollten den Kolleginnen und Kollegen in Belarus, Russland und der Ukraine eine Stimme geben, und das ist uns mit dieser Veranstaltung auf beeindruckende Art und Weise gelungen. Und wir werden sie weiterhin unterstützen mit Ausrüstung und speziellen Programmen und uns auch für europaweite Stipendien einsetzen.“

Ruth Meyer bedankte sich im Namen aller bei den mutigen Journalist:innen vor Ort in Russland, Belarus, Moldau und Ukraine: „Diese Frauen und Männer ermöglichen uns und der Welt durch ihren Einsatz und ihre Recherchen unter Einsatz ihres Lebens, Informationen zu erhalten, die für die Entscheidungsfindung in einer Demokratie von unabdingbaren Wert sind.“